Ausgangslage

In der Schweiz gibt es ein hohes Engagement von Freiwilligen im Gesundheits- und Sozialbereich wie auch geeignete professionelle Organisationen, welche Freiwillige unterstützen. Trotzdem besteht weiterhin ein grosser Bedarf. Die kantonalen Sektionen von grossen nationalen Anbietern von Freiwilligeneinsätzen im Gesundheits- und Sozialbereich im Kanton Bern (Benevol, Caritas, Pro Senectute, reformierte Landeskirche), der kantonale Spitex-Verband, die Stadt Bern und die Gemeinden Langenthal und Jegenstorf, die Grauen Panther Bern und Pro Aidants sowie das nationale Netzwerk Caring Communities mit dessen Hauptträger Migros Genossenschaftsbund haben deshalb mit Unterstützung des Kantons Bern das vorliegende Projekt initiiert. Angesichts der grossen gesellschaftlichen Bedeutung von Freiwilligen im Rahmen von Caring Communities besteht zudem Bedarf und Potenzial, das Freiwilligenengagement (FWE) besser zu koordinieren und zu optimieren, besonders in den ländlichen Regionen des Kantons Bern. Insbesondere wurde auch festgestellt, dass das Thema «Annahme von Hilfe» durch unterstützungsbedürftige Personen und betreuende Angehörige mehr Aufmerksamkeit erfordert.
Die nachstehenden vier Handlungsfelder wurden von den Projektträgern als besonders relevant bezeichnet:

  1. Lokale Anlaufstellen für die Stärkung von freiwilligen Engagements
  2. Förderung des lokalen organisierten Freiwilligenengagements
  3. Strukturelle Förderung des informellen Freiwilligenengagements
  4. Förderung der Annahme von Freiwilligenunterstützung

Die Teilprojekte 2 und 4 sind abgeschlossen. Das Teilprojekt 1 und 3 sollen im Rahmen eines Folgeprojekts umgesetzt werden.

Fakten zum Freiwilligenengagement in der Schweiz

Freiwilligenarbeit ist ein Indikator innerhalb des Monitoringsystems des Bundes für nachhaltige Entwicklung. Nachstehend die Begründung:

«Freiwilligenarbeit schafft Kontaktmöglichkeiten und ist daher Ausdruck des Sozialkapitals. Sie ergänzt professionelle Dienstleistungen und trägt damit zur Deckung der materiellen und immateriellen Bedürfnisse der Bevölkerung bei. Freiwilligenarbeit dient unter anderem der Unterstützung von Benachteiligten und wirkt somit der Ausgrenzung der Schwachen entgegen. Eine Zunahme des Anteils der Bevölkerung, die Freiwilligenarbeit leistet, ist daher ein Schritt in Richtung Nachhaltige Entwicklung.[1]»

Freiwilliges Engagement leistet in der Schweiz einen wichtigen Beitrag an ein funktionierendes Gemeinwesen. Im Jahr 2013 übten rund 33 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren Freiwilligenarbeit aus. Jede fünfte Person führte eine unbezahlte Tätigkeit im Rahmen von Organisationen oder Institutionen aus, das entspricht rund 1,4 Millionen Menschen. Rund ein Viertel davon erfolgte in sozial-karitativen oder kirchlichen Organisationen. Die wichtigsten Motive sind «Mit anderen etwas bewegen» (rund 74%), «Anderen Menschen helfen» (rund 68.5%), «Eigene Kenntnisse und Erfahrungen erweitern» (rund 53%), «Sich persönlich weiterentwickeln» (rund 42%). (BFS 2015[2])

Freiwilliges Engagement (FWE) ist unerlässlich für individuelle Teilhabe, gesellschaftliche Kohäsion, Wohlstand, stabile demokratische Strukturen und soziale Bindungen (Bundesministerium 2019[3]). Durch die Zunahme von hochaltrigen Menschen steigt der Bedarf an FWE zusätzlich. Gleichzeitig stossen professionelle Dienstleistungssysteme an finanzielle Grenzen (Ressourcenallokation!). Eine Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements (Dörner 2011[4]) und der partizipativen Teilhabe (Schäffler et al. 2013[5]) sind dringend notwendig.
Aus der Gerontologie wissen wir gleichzeitig, dass Hilfsbedürftigkeit u.a. oft soziale Scham auslöst. Alter und Hilfsbedürftigkeit werden gesellschaftlich verdrängt. In der Folge stossen ältere Menschen und Angehörige an Kapazitätsgrenzen, was zu Überforderung und Krankheit führen kann. Um die Annahme von Unterstützung zu fördern, braucht es somit einen Wandel in den Einstellungen und Werten der Gesellschaft.

  • Ältere Menschen möchten das Gefühl haben können, gebraucht zu werden und einen gesellschaftlichen Beitrag zu Sie möchten nicht zur Last fallen, weder dem Staat noch dem persönlichen Umfeld (Schäffler et al. 2013).
  • Andererseits besteht oft ein Wunsch nach Entlastung, insbesondere auch bei stark engagierten betreuenden Angehörigen (Kessler & Boss 2019[6]).
  • Damit Hilfe und Entlastung angenommen werden, müssen Selbstbestimmung und Würde der Empfänger bewahrt werden. Im Idealfall sollte Hilfe als Selbstverständlichkeit und Zeichen gesellschaftlicher Wertschätzung interpretiert werden können (Hell 2018[7]).
  • Freiwillig Engagierte haben ebenfalls ein grosses Bedürfnis nach Wertschätzung – und nach leichter zugänglicher Information (BFS 2015[8]).
  • Die Hürden zur Annahme von Hilfe sind allerdings wenig bekannt und müssen im Hinblick auf wirkungsvolle Strategien recherchiert werden, unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Heterogenität.

Für das Jahr 2013 hat das Bundesamt für Statistik ein geschätztes Gesamtvolumen von 665 Millionen Stunden Freiwilligenarbeit berechnet. Rund ein Viertel davon oder 170 Millionen Stunden erfolgten im sozial-karitativen Bereich. Als Vergleichsgrösse: Im gesamten Gesundheits- und Sozialwesen wurden im Jahr 2013 853 Mio. Stunden bezahlt gearbeitet (BFS 2015[9]). Ohne dieses Engagement wäre die Belastung der unterstützten älteren Menschen bzw. des Gesundheits- und Sozialsystems sehr viel höher ausgefallen.


[1] Bundesamt für Statistik, MONET 2030 Freiwilligenarbeit https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/nachhaltige-entwicklung/monet-2030/alle-nach-themen/16-frieden-gerechtigkeit-institutionen/freiwilligenarbeit.html[2] Bundesamt für Statistik (BFS) (2015): Freiwilliges Engagement in der Schweiz. Neuchâtel: Bundesamt für Statistik

[3] Bundesministerium des Innern, Bau und Heimat. https://www.bmi.bund.de/DE/themen/heimat-integration/buergerschaftliches-engagement/bedeutung-engagement/engagement-artikel.html (17.8.2019)

[4] Dörner, Klaus (2011): Leben und Sterben, wo ich hingehöre: Dritter Sozialraum und neues Hilfesystem. Neumünster: Paranuss Verlag

[5] Schäffler, Hilde, Biedermann, Andreas und Salis Gross, Corina (2013): Soziale Teilhabe. Angebote gegen Vereinsamung und Einsamkeit im Alter. http://gesundheitsfoerderung.ch/assets/public/ documents/1_de/a-public-health/4-aeltere-menschen/5-downloads/Via_-_Bericht_Soziale_ Teilhalbe_Angebote_gegen_Vereinsamung_und_Einsamkeit_im_Alter.pdf (20.3.2020)

[6] Kessler, Claudia und Boss, Veronika (2019): Förderung der psychischen Gesundheit von betreuenden Angehörigen älterer Menschen. Eine Orientierungshilfe für die Gesundheitsförderung im Alter. Bern: Gesundheitsförderung Schweiz

[7] Hell, Daniel (2018): Lob der Scham. Psychosozial-Verlag, Giessen

[8] Bundesamt für Statistik (BFS) (2015): Freiwilliges Engagement in der Schweiz. Neuchâtel: Bundesamt für Statistik

[9] Bundesamt für Statistik (BFS) (2015): Freiwilliges Engagement in der Schweiz. Neuchâtel: Bundesamt für Statistik